KOM eröffnet Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland
Die KOM hat am 9. Juni ein Aufforderungsschreiben an Deutschland gerichtet und damit die erste Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet, da das BVerfG einem Urteil des EuGHs seine Rechtswirkung in Deutschland abgesprochen und damit gegen die Grundprinzipien von EU-Recht, insbesondere gegen Grundsätze der Autonomie, des Vorrangs, der Wirksamkeit und der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts, verstoßen habe.
Hintergrund ist das Urteil des BVerfG vom 5. Mai 2020 zum Public Sector Purchase Programme (PSPP) der EZB, gemäß dem das PSPP „ultra vires“ sei und nicht in den Zuständigkeitsbereich der EZB falle. Denn die EZB habe die ihr übertragenen Kompetenzen überschritten, indem sie die erheblichen wirtschaftspolitischen Auswirkungen des PSPP nicht gewichtet und mit den prognostizierten Vorteilen für die Erreichung des von ihr definierten währungspolitischen Ziels in Beziehung gesetzt und nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten abgewogen habe.
Der EuGH habe seinerseits in seiner Entscheidung nur das Verlustrisiko geprüft und die wirtschaftspolitischen Nebenwirkungen aus seinem Prüfprogramm unzulässigerweise ausgeklammert, sodass die Verhältnismäßigkeitsprüfung leerliefe. Diese sei aber das zentrale Element mit dem sichergestellt werden könne, dass die EZB im Rahmen ihrer Kompetenz verbleibe. Diesem Rechtsschutzauftrag sei der EuGH nicht hinreichend nachgekommen.
Mit Beschluss vom 29. April dieses Jahres verwarf das BVerfG zwar zwei Vollstreckungsanträge zu seinem Urteil vom 5. Mai 2020, der Verstoß gegen den Grundsatz des Vorranges des EU-Rechts werde damit nach Ansicht der KOM jedoch nicht aufgehoben. Vielmehr stelle das Urteil des BVerfG einen ernstzunehmenden Präzedenzfall da und könnte die Integrität des Unionsrechts gefährden.
Deutschland hat nun zwei Monate Zeit, auf das Aufforderungsschreiben der KOM zu antworten. Christoph Frank