Rechtsstaatlichkeitsbericht 2021 der KOM veröffentlicht
Die KOM hat am 20. Juli ihren zweiten Bericht zur Evaluierung der Lage der Rechtsstaatlichkeit in der Union und in den 27 Mitgliedstaaten veröffentlicht. Der Bericht umfasst eine Mitteilung, die einen allgemeinen Überblick über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in der Union insgesamt liefert, und Länderkapitel, die die Entwicklungen in den einzelnen Mitgliedstaaten in den Fokus nehmen. Berücksichtigt werden die Entwicklungen auf nationaler und Unionsebene ab September 2020 in vier Schlüsselbereichen: Justizwesen, Korruptionsbekämpfung, Medienvielfalt und Medienfreiheit sowie institutionelle Gewaltenteilung. Dabei werden die Bewertungen der im vorhergehenden Bericht festgestellten Rechtsstaatlichkeitsdefizite vertieft und die Auswirkungen der Corona-Pandemie thematisiert.
Im Allgemeinen werden im Bericht positive Entwicklungen auf nationaler und Unionsebene dargestellt. Mehrere Mitgliedstaaten haben laut KOM z. B. Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz bzw. zur Verbesserung der Korruptionsprävention und -bekämpfung ergriffen. Dazu gehören Initiativen zur Reform der Justizräte, zur Ernennung von Richterinnen und Richtern und zur Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft sowie die Erarbeitung von nationalen Strategien zur Korruptionsbekämpfung und Vorschriften über Interessenkonflikte und Lobbytransparenz. Die Bekämpfung der Corona-Pandemie forderte Grundwerte und persönliche Freiheiten in der Union heraus. Bemühungen für mehr Transparenz bei Willensbildungsprozessen oder für eine stärkere Bürgerbeteiligung werden im Bericht ausdrücklich gelobt.
Es bestehen allerdings aus Sicht der KOM weiterhin auch Bedenken, die sich seit September 2020 verschärft haben. Diese sind auf Entwicklungen in bestimmten Mitgliedstaaten vor allem im Justiz- und Medienbereich zurückzuführen. In einigen Mitgliedstaaten wurden laut KOM Justizreformen durchgeführt bzw. eingeleitet, die zur Schwächung der Unabhängigkeit der Justiz geführt haben bzw. führen können. Dabei geht es vor allem um Maßnahmen, die darauf abzielen, den Einfluss der Exekutive und Legislative auf die Justiz zu erhöhen. Aus Sicht der KOM sind auch die wachsende Einflussnahme der Politik auf die Medienlandschaft und die zunehmende Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten in der EU problematisch.
Polen und Ungarn erhielten die schärfsten Kritiken. Die dortigen Entwicklungen im Justiz- und Medienbereich werden laut KOM mit großer Sorge beobachtet. Einzelkritiken gibt es aber auch an anderen Mitgliedstaaten. Beim Thema Justiz bemängelt die KOM z. B. die Langsamkeit der gerichtlichen Verfahren in Italien und die schleppenden Reformen in Bulgarien. Slowenien ernte Kritiken u. a. aufgrund der mangelnden Medienfreiheit und die unsichere Lage für Journalistinnen und Journalisten. In Malta und Zypern besteht u. a. Handlungsbedarf bei der Korruptionsbekämpfung.
In Deutschland sei die Lage der Rechtsstaatlichkeit grundsätzlich gut. An verschiedenen Stellen bestehe allerdings aus Sicht der KOM noch Handlungsbedarf.
So sei die Unabhängigkeit der Justiz in Deutschland sehr ausgeprägt. Auch die laufenden Beratungen über einen Legislativvorschlag, mit dem die Weisungsbefugnis der Justizminister*innen gegenüber Staatsanwälte in Einzelfällen eingeschränkt werden soll, sowie die stattfindenden Diskussionen über die Auswahlkriterien für die Ernennung von vorsitzenden Richterinnen und Richtern an den Bundesgerichten werden von der KOM positiv bewertet. Der Bericht weist allerdings auf die weiterhin bestehenden Nachwuchssorgen im deutschen Justizwesen hin, die ggf. Auswirkungen auf die Qualität und Effizienz der deutschen Justiz haben könnten. Positiv wird es allerdings bewertet, dass die Schaffung von zusätzlichen Stellen in Gerichten und Staatsanwaltschaften im Rahmen des Pakts für den Rechtsstaat aus dem Jahr 2019 vorankommt.
Im Bereich Korruptionsprävention werden im Bericht ebenfalls positive Entwicklungen erwähnt. Eine Modernisierung des strategischen Rahmens für die Korruptionsprävention auf Bundesebene wurde eingeleitet, und bis Januar 2022 wird ein Lobbyregister eingeführt. Defizite bestünden allerdings weiterhin bei der Regulierung der Nebentätigkeiten von Abgeordneten und bei den Vorschriften über die Offenlegung von Vermögenswerten. Die Regelungen zur Parteienfinanzierung wiesen darüber hinaus einige rechtliche Lücken auf (z. B. im Bereich „Sponsoring“) und die Obergrenzen für Spenden seien zu hoch.
Deutschland verfüge über einen gut funktionierenden Rechtsrahmen für Medienfreiheit und Medienvielfalt. Der Grad der Unabhängigkeit und der Transparenz im Medienbereich sei weiterhin hoch. Anlass zu Sorge würden allerdings die zunehmenden Aggressionen gegen Journalistinnen und Journalisten geben, insbesondere im Rahmen der Berichterstattung bei Protesten.
Im institutionellen Bereich wird vor allem die zunehmende Verkürzung der Dauer von Gesetzgebungsverfahren gerügt, die zu verkürzten Konsultationsfristen führt. Bemängelt wird auch die noch fehlende Besetzung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Die KOM erwähnt auch das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen Verstoßes gegen wesentliche Grundsätze des EU-Rechts im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020, das sie im Juni 2021 eingeleitet hat.
Der jährliche Rechtsstaatlichkeitsbericht der KOM ist der Kern des neuen EU-Rechtsstaatlichkeitsmechanismus, der im Rahmen eines jährlichen Zyklus einen strukturierten Dialog auf nationaler und europäischer Ebene zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit und zur Vorbeugung der Entstehung bzw. Verschärfung von Rechtsstaatlichkeitsdefiziten vorsieht. Der Kommissionsbericht stellt die Grundlage für diese breiteren Diskussionen dar. Roberta Ferrario